Es folgt ein Reisebericht von zwei Wahlmünchnern, die eine 🚲 Fahrradtour von Polen zum Nordkap gemacht haben.
Schon seit längerer Zeit hatte eine mehrwöchige Radreise im Raum gestanden und dieses Jahr haben wir uns dann endlich dazu durchringen können, diese auch in Angriff zu nehmen. Eine mehrmonatige freie Phase zwischen Juli und September bot die optimale Bühne für eine solche Tour. Unsere Planungsphase war relativ überschaubar, da wir beide mit Studium und Job beschäftigt gewesen waren und uns generell keinen ‚Stress’ machen wollten. Thomas hatte größtenteils die Planung der Route und des Gepäcks übernommen. Erst circa eine Woche vor Abreise konnte ich mich wirklich auf die Reise konzentrieren und organisierte mir über Ebay-Kleinanzeigen ein altes Mountainbike (€50), das einen stabilen und hochwertigen Eindruck machte. Thomas hatte von seinem Vater ein altes Mountainbike geerbt, welches ihn bereits auf einer dreiwöchigen Tour von Wien zum Goldstrand in Bulgarien begleitet hatte und dem Aussehen nach zu urteilen, auch seinem Vater schon treue Dienste geleistet hatte.
🚲 Fahrradtour zum Nordkap 🚲
Am 29. Juli 2015 ging es endlich los. Thomas und ich fuhren mit dem Fernbus nach Berlin, um dort unsere Reise in Richtung Osten anzutreten. Wir verbrachten die Nacht bei einem alten Freund (vielen Dank an dieser Stelle noch einmal Gerrit!) und brachen am Morgen des 30. Juli um 6.00 Uhr vom Bahnhof in Berlin mit dem Zug nach Warschau auf. Nachdem wir uns zunächst unser Mitfahrtrecht gegen einen äußerst regelkonformen DB-Mitarbeiter erstreiten mussten und mit drei stark alkoholisierten Polen ins Abteil gesteckt wurden, kamen wir wohlbehalten in Polen an. Nach einer weiteren Nacht in Warschau fuhren wir am darauffolgenden Tag dann schließlich mit dem Fahrrad los. Auf dem Plan standen 7 Länder (Polen, Litauen, Lettland, Estland, Russland, Finnland und Norwegen) und um die 4.000 km.
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Im Vorfeld unseres Trips hatten wir bereits ein Visum für Russland beantragen müssen. Da sich unsere Reise etwas verzögert hatte und wir ein paar Tage später als ursprünglich geplant losgefahren waren, galt es nun die verlorenen Tage wettzumachen und zügig nach Russland zu gelangen, um das Visum auch voll ausnützen zu können.
Zu unserer Schande mussten wir uns bald eingestehen, dass Polen kein rückständiges Ostblockland ist, sondern ein wirklich vielfältiges und wunderschönes Land mit unglaublich gastfreundlichen und fröhlichen Menschen. Viele der von uns befahrenen Straßen waren deutlich besser in Schuss als wir es aus unserer Heimat gewohnt waren und wir freuten uns über einen so gelungenen Start unserer Reise. In Litauen hingegen war dann bald Schluss mit lustig. Geteerte Straßen gehörten hier nicht zur Tagesordnung und wir konnten uns nur langsam bei gefühlten 35 Grad und ständig von vorbeifahrenden Autos aufgewirbelten Staubwolken vorankämpfen. Weiter ging es dann nach Riga, der tollen Hauptstadt Lettlands und von da aus weiter nach Tallin in Estland. Ein Besuch beider Städte ist wirklich zu empfehlen. Insgesamt schien es uns, als ob sich die baltischen Staaten, nicht zuletzt durch die Förderung der EU, in einem wirtschaftlichen Aufschwung befinden und wirklich kulturell einiges zu bieten haben.
Nun jedoch rückte die russische Föderation immer näher und wir waren neugierig auf die dort zu erwartenden Abenteuer. Ohne Probleme passierten wir in Narva die Grenze und wurden direkt von Slava, einem Kettensägenmechaniker in der Grenzstadt Kingisepp, eingeladen, die Nacht in seinem Haus, das er gemeinsam mit seiner Oma bewohnt, zu verbringen. Obwohl die Verständigung durch eine ‚gewisse’ Sprachbarriere nicht einfach war, hatten wir bei Slava eine Menge Spaß. Am nächsten Tag stand dann Sankt Petersburg auf dem Programm. Dort verbrachten wir zwei Nächte in einem Hostel und genossen sowohl einen radfreien Tag, als auch generell das Flair dieser pulsierenden Metropole. Relativ krass war in Russland jedoch die große Kluft zwischen dem fortschrittlichen St. Petersburg und den umliegenden ländlichen Regionen. Während ‚Peter’, wie es die Einheimischen nennen, für den Tourismus herausgeputzt ist, gibt es auf dem Land oftmals keinen Strom, fließend Wasser oder eine Kanalisation. Um den Ladogasee nordöstlich von St. Petersburg führte uns unsere Route dann nach 10 Tagen wieder in die EU, nämlich nach Finnland. Zuvor hatten wir uns aber ziemlich ordentlich im Wald verfahren. Als wir stundenlang keine Menschenseele mehr gesehen hatten und unsere Stahlrösser durch mehrere Sümpfe schieben mussten, entschieden wir uns umzukehren. Nur mit Hilfe eines Freundes konnten wir wieder aus dem russischen Dickicht heraus navigieren. Zusätzlich mussten wir zwei äußerst unheimliche Kontrollen im russisch-finnischen Grenzgebiet über uns ergehen lassen, wobei uns ein Grenzbeamter dann den restlichen Tag mit dem Auto begleitete, da wir angeblich nicht die benötigten Papiere bei uns hatten, die ein problemloses Passieren möglich gemacht hätten. Zuerst war es nicht einmal klar gewesen, ob es sich bei den „Polizisten“ überhaupt um solche handelte. Sie fuhren in normalen russischen Klapperkisten und trugen als Erkennung lediglich eine Uniform. Abschließend bleibt zu Russland jedoch noch zu sagen, wie freundlich und hilfsbereit auch hier die Leute zu uns waren. Auch wenn wir meist nicht in einer gemeinsamen Sprache kommunizieren konnten, war der Russe zumeist gut gelaunt und wird uns mehr als positiv in Erinnerung bleiben.
Da viele Teile der russischen Natur ziemlich stark vermüllt waren, fiel Finnland durch seine guten Straßen und seine extreme Sauberkeit auf. Zeitweise fuhren wir tagelang durch nur wenig besiedelte Landstriche und konnte durch die beeindruckende Natur mit vielen Seen und Wäldern komplett abschalten. Obwohl wir mit dem Wetter bis zu diesem Zeitpunkt ziemlich viel Glück gehabt hatten und es fast durchgängig warm und sonnig gewesen war, wurden die Nächte nun deutlich kälter und auch das Wetter war uns nicht mehr so wohlgesonnen wie zuvor. Endlich hatten wir aber das Gefühl im Norden angekommen zu sein. Zu erwähnen sind auch noch die vielen Mücken, die uns zwar in Russland schon begleitet hatten, aber auch noch in den südlicheren Gefilden Finnlands relativ aufdringlich und nervig waren. Von der russisch-finnischen Grenze fuhren wir vorbei an Kontiolahti nach Kuhmo. Dort hatten wir das Glück an eine Familie namens Lindholm zu geraten. Die Lindholms luden uns nicht nur ein bei ihnen zu übernachten, sondern organisierten sogar noch eine regelrechte Party, feuerten ihre Sauna für uns an und ließen uns mit ihrem Jetski fahren. Von Kuhmo ging es weiter nach Kuusamo und von dort aus in die norwegische Grenzstadt Kárášjohka. 🌇
Urplötzlich veränderte sich die Landschaft und es wurde klar, dass wir in Norwegen angekommen waren. An dunkel schimmernden Fjorden entlang rückte das Nordkap in greifbare Nähe. Am letzten Tag war das Wetter jedoch nicht mehr auf unserer Seite. Starke Winde und durchgängiger Regen machten die letzten Kilometer zum Nordkap noch einmal zu einer echten Herausforderung. Völlig durchnässt und zitternd vor Kälte hatten wir es geschafft: Nach circa 3.700 km und 31 Tagen (davon 2 Ruhetage) waren wir am Ziel angekommen! Das Nordkap an sich ist zwar definitiv nicht der schönste Teil Norwegens und ist komplett von Touristen überlaufen, nichtsdestotrotz eignete es sich perfekt als Zielpunkt unserer Reise. Gemeinsam mit zwei weiteren Radlern verbrachten wir eine Nacht im Zelt am Nordkap und machten uns am nächsten Tag auf in Richtung Lofoten. Dort wollten wir dann unseren Urlaub noch einmal gebührend ausklingen lassen. Mit den Hurtigruten schipperten wir zunächst nach Trømse und dann weiter nach Harstad. Mit dem Fahrrad rollten wir dann gemütlich noch einmal etwas mehr als 300 km nach  i Lofoten. Thomas und ich waren uns einig, dass die Lofoten landschaftlich sicherlich das Highlight unseres Trips darstellten. Von dort aus machte ich mich dann mit Fähre, Flugzeug und Bus wieder auf den Heimweg und Thomas reiste nach einem kurzen Abstecher nach Trondheim mit Zug und Bus wieder gen Heimat. An unserem letzten gemeinsamen Abend öffnete sich dann sogar noch einmal die dichte Wolkendecke und gab die von uns schon seit Wochen antizipierten wunderschönen Nordlichter preis. ☀
Insgesamt lehrte unser diese Reise definitiv einiges über die bereisten Länder, deren Kultur und Einwohner. Es bleibt festzustellen, dass Gastfreundschaft in vielen Bereichen der Erde sehr hoch geschätzt wird und wir als Reisende oft überrascht waren, wie offenherzig wir mancherorts begrüßt wurden. In nahezu allen Ländern luden uns Leute zu ihnen nachhause ein und verwöhnten uns nach feinster Manier. Manchmal hatten wir sogar ein schlechtes Gewissen bei all diesen Nettigkeiten, die wir ja wirklich nur bedingt erwidern konnten.
Den größten Teil unseres Trips schliefen wir im Zelt. Nur einmal gönnten wir uns zwei Nächte im Hostel. Am spannendsten wurde es jedoch, wenn wir wie zum Beispiel an der Skisprungschanze in Kuusamo eine Hütte oder einen Unterschlupf fanden, wo wir dann die Nacht im Trockenen mit Fußbodenheizung und Bad verbringen durften.
Mit der Zeit wird man einfach deutlich genügsamer und weiß die kleinen Dinge des Lebens wieder besser zu schätzen, die man im Alltagstrott oft aus den Augen verliert. Insgesamt können wir nur jedem sportbegeisterten Menschen empfehlen, einen derartigen Fahrradtrip zu starten, egal ob eine Woche oder ein Jahr. Es gibt zwar Momente, in denen man lieber auf der hauseigenen Couch liegen würde, jedoch entschädigen die vielen Abenteuer, wie beispielsweise das Kühe melken mit polnischen Landwirten, eine durchzechte Nacht mit ukrainischen Separatisten, das Treffen mit einem Reisenden, der mittlerweile über 30 Jahre unterwegs ist oder eine Bergwanderung auf den Lofoten für etwaige Unannehmlichkeiten. Wir für unseren Teil planen schon wieder die nächste Radreise… 🚲
Thomas Bräu 📧 braeu.thomas@gmail.com
Florian Wolf 📧 fwolf@elon.edu
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